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Peter Hiltner

Ich unterstütze die Überzeugung des Bürgerbegehrens, dass man das Ganze sehen muss. Wir können uns keine simple Wild-West-Mentalität mehr leisten und glauben, dass im Westen unbegrenzt Räume offenstehen, die wir belegen könnten. Die Idee einer Umgehungsstraße, um die fatalistisch erwarteten stetig steigenden Verkehrsströme umzulenken, ist aber (trotz aller Umweltverträglichkeitsprüfungen) genau das.

Das Ganze sieht man gewiss nicht, wenn man die Umgehung mit „Weiter so mit dem Verkehr, nur woanders“ rechtfertigen will. Leider ist das bei dem Argument Nr. 4 des Pro-Umgehungs-Flyers der Fall, obwohl es mit „In die Zukunft denken“ überschrieben ist. Wir reden doch bereits über eine dringend nötige Verkehrswende, als 1 von vielen anderen nötigen Wenden.

Zu dieser Wende ist die Umgehung ganz sicher kein Beitrag, allein schon wegen der Mittel, die ihr Bau bindet und die sinnvoller anders investiert werden könnten. 1 Beispiel: Container können auch per Bahn nach Hof kommen, und wenn die Firmen (wieder) einen Gleisanschluss bekommen, den viele früher schon einmal hatten, dann kann auch etwas gebaut werden, aber etwas Sinnvolles (falls sich das „nicht rechnet“, dann kann man dafür sorgen).

Wir sind immer noch so anthropozentrisch aufgestellt. Tun wir doch Schritte von dieser Einstellung weg, verlagern wir nicht einfach nur Verkehr von A nach B, sondern suchen nach insgesamt weniger belastenden Lösungen und lernen dabei, uns mehr als Teil eines guten Ganzen zu sehen.

Leserbrief Juni 2024 – 100 Jahre zurück …

oder lassen wir es 120 sein, da erregten sich in einem Marktflecken die Gemüter über eine zukunfts- weisende Entscheidung. Den Flecken durchzog nämlich zwischen Berg und Flüsschen eine Haupt- verkehrsstrecke, über die täglich viele Pferdekutschen und Fuhrwerke rollten. Die Hinterlassenschaf- ten der Pferde säumten die Straße, die in Regenzeiten durch die vielen Hufe zu einem einzigen Schlamm wurde, und der Geruch der Pferde hing schwer in der Luft. Am schlimmsten aber war der Betrieb der 2 oder 3 Pferdestationen entlang der Straße. Nie kehrte da Ruhe ein, Wägen wurden umgeladen, Reisende stiegen um, es wurde gegessen und gezecht, die Pferdeknechte schrien beim Wechseln der Pferde einander zu, und die Pferde wurden mehr und ihre Wechselställe nahmen von Jahr zu Jahr größere Flächen ein (denn die Wirtschaft war auf Wachstum getrimmt). All das hatten die Anwohner gründlich satt, und sie verlangten, das alles sollte raus und am Ortsrand entlang über den Berg geleitet werden.

Nun war freilich klar, dass die Verlegung dieser ganzen Infrastruktur alles andere als eine schnell durchführbare, billige Maßnahme war. Außerdem wohnten am Ortsrand ja ebenfalls Leute, wenn auch andere, und Bauern des Fleckens hatten dort ihre Äcker. Doch der Rat des Marktfleckens be- gann zu überlegen und brachte erste Planungen auf den Weg.

Aber es war kompliziert, Alternativen wurde geprüft und diskutiert, und es dauerte 20 Jahre. In- zwischen hatten sich die Voraussetzungen erheblich geändert und es war erkennbar, dass die Geg- ner der Umlegung schon vor 20 Jahren richtig gesehen hatten als sie sagten man dürfe langfristig nicht mehr auf die Pferde setzen. Das Auto (darüber hatten damals die meisten gelacht) werde eine ganz neue Verkehrsstruktur bringen, es sei leiser als die Pferdegespanne, stinke nicht so und brau- che viel weniger Platz. Und tatsächlich fuhren inzwischen regelmäßig Autos durch die Straße, und die großen Wechselställe standen jetzt meist halb leer.

Von den Bewohnern des Marktfleckens waren nur noch ein paar mehr als die Hälfte mehr oder weniger für die weitere Unterstützung der Pferdelösung und deren geplante Umlegung. Trotzdem schien es, als werde sie unweigerlich kommen, denn im Fleckenrat waren die Befürworter der Umle- gung weit in der Mehrzahl. Insbesondere der Bürgermeister und sein Adlatus von der anderen Partei konnten oder wollten sich von der Zukunft der Pferdelösung nicht trennen und verschlossen sich je- der erneuten Diskussion. Sie schwärmten davon, wie schön man die Durchgangsstraße neu gestal- ten könne, mit großen freundlichen Parkplätzen für die paar Autos usw., wenn die Pferde und die Wechselställe endlich draußen bei den Bewohnern am Ortsrand wären. Und was das Bauernland betreffe – die Bauern würden sowieso immer weniger, und der Knoblauch käme ja bald aus China oder Argentinien ….

PS: Wir wissen nicht, wie die Sache in dem Märchen ausging. Wir wissen aber, was zu tun ist um bei uns eine gestrige Lösung zu verhindern. Und im übrigen: ich bin mit Autos aufgewachsen und bald 70, aber ich habe keine Mühe mir vorzustellen, dass das heutige Privatauto und der Speditions-LkW Auslaufmodelle sind und sein müssen. Wir sind intelligent genug, ein ganz neues Verkehrskonzept zu entwickeln und die Planung heute schon darauf auszurichten. Wir sind nicht auf ein Modell angewiesen, das wir unseren Enkeln gegenüber in 30 Jahren kaum mehr verteidigen können.

Dr. Peter Hiltner, Juni 2024